Ein deutscher Wandersommer by Andreas Kieling

Ein deutscher Wandersommer by Andreas Kieling

Autor:Andreas Kieling [Kieling, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2011-01-01T05:00:00+00:00


Das »Land der weißen Berge«

Etwa zehn Kilometer vor »Point Alpha« hatte die innerdeutsche Grenze, die bis dahin grob einer Ost-West-Richtung gefolgt war, einen Bogen geschlagen, und verlief nun mehr oder weniger direkt nach Norden.

Vor uns lag ein Kuriosum: das »Land der weißen Berge«. Deutschland hat nicht viele Bodenschätze, im Osten Braunkohle, im Westen Steinkohle – und dazwischen Kali, so zum Beispiel bei Zielitz in Sachsen-Anhalt, bei Bokeloh in der Region Hannover oder hier bei Heringen im thüringisch-hessischen Grenzgebiet. Kali beziehungsweise Kaliumchlorid findet Verwendung als Dünger, Geschmacksverstärker (Lebensmittelzusatz E 508), Härtesalz in der Metallindustrie, Streusalz, in Zahncremes für schmerzempfindliche Zähne und und und. Die Abraumhalden der Kaligruben sehen sehr bizarr aus, wie riesige Zuckerberge – nein, das trifft es nicht so ganz, denn richtig weiß sind sie eigentlich nicht. Sie sehen eher aus wie Vulkane, genauer: wie enorme Haufen heller Vulkanasche. Und sie haben so skurrile Namen wie Kalimandscharo oder Monte Kali. Und solche Berge tauchten nun vor Cleo und mir auf.

Als Cleo den ersten sah, knurrte sie. Sie würde auch knurren, wenn ein großer Findling in der offenen Landschaft läge.

Hunde haben eine andere Wahrnehmung als wir Menschen, und wenn Cleo etwas sieht, was sie nicht kennt und von dem sie keine Witterung bekommt, das ihr nicht geheuer ist und für sie daher Gefahr bedeutet, wird halt geknurrt. Und wenn das nicht hilft und das Ding sich nicht verkrümelt, dann wird richtig gebellt.

»Hey Cleo«, beruhigte ich sie, »das ist der Kalimandscharo. Das ist was ganz Tolles, da wollen wir heute noch hoch.«

Der Kalimandscharo der Grube Wintershall ragt ungefähr 530 Meter über dem Meeresspiegel auf, was hier bedeutet, dass er nur zweihundert Meter hoch ist. Aber was heißt schon »nur«? Zum Vergleich: Die Panoramaetage des Berliner Fernsehturms liegt in 203 Meter Höhe, das Drehrestaurant des Münchner Olympiaturms auf 182 Meter, und die beiden Türme des Kölner Doms sind gerade mal 157 Meter hoch. Der Monte Kali hat eine Fläche von 55 Hektar und besteht aus etwa 150 Millionen Tonnen Abraumsalz, das wiederum zu 96 Prozent aus Natriumchlorid, also Kochsalz, besteht; der Rest sind zwei Prozent Kali, das nicht extrahiert werden kann, sowie Ton, Lehm oder andere Sedimente. Und täglich kommen knapp 20000 Tonnen Abraum dazu. Da die Kaliberge eine bestimmte Höhe nicht überschreiten dürfen, um die Landschaft nicht komplett zu verschandeln, muss neues Material an den Seiten aufgeschüttet werden. Wobei diese Berge eigentlich recht hübsch aussehen und die wahren Probleme ganz andere sind.

Das eine ist wirtschaftlicher Natur: Die hiesige Lagerstätte erstreckte sich zwischen Kassel, Fulda und Eisenach, also beiderseits der Grenze, und wurde von konkurrierenden Unternehmen ausgebeutet. Als die DDR zusammenbrach, übernahm das westdeutsche Bergbauunternehmen Kali und Salz AG (die heutige K+S) von der Treuhandanstalt die Mitteldeutsche Kali AG (MDK). Unwirtschaftliche Werke wurden geschlossen – in Ost wie West –, und an die 20000 Menschen verloren ihre Arbeit. Kein Wunder, dass sowohl ostdeutsche wie westdeutsche Kumpel nicht gut auf die K+S zu sprechen sind, wiewohl die Kaligruben noch immer vielen Menschen in der Region Arbeit geben.

Natürlich darf nicht jeder einfach so den Monte Kali hochlaufen, denn in der Grube wird noch gearbeitet.



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